Wer sich jetzt versteckt, verliert: Warum Marken auch in stürmischen Zeiten präsent bleiben sollten.
Die ganze Welt befindet sich im Ausnahmezustand. Je länger die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufrechterhalten werden, umso größer werden die Herausforderungen nach der Krise sein. Kein Wunder, dass man immer häufiger Fragen nach einer „Exit-Strategie“ hört. Doch wenn die strikten Regeln irgendwann wieder gelockert werden, tritt nicht automatisch wieder der Normalzustand ein.
„Jede Krise ist eine Chance“ – diese Binse hat man tausendfach gehört. Blickt man auf die großen Krisen der Vergangenheit, so gibt es tatsächlich immer auch Gewinner – und zwar nicht nur während der Krise, sondern insbesondere danach. In der Wirtschaft sind das im Regelfall die Unternehmen, die in der Krise sehr gezielt individuelle „Intro-Strategien“ für die Zeit danach verfolgten.
Der Artikel zum Verbraucherverhalten in der Krise zeigt, dass sich die Menschen nicht nur nach Normalität sehnen, sondern auch tatsächlich (so weit wie möglich) normal handeln. Sicher, es gibt beim Einkauf im Food-Bereich verstärkte Präferenzen für einzelne Produktgruppen, einige wenige Güter des täglichen Bedarfs werden auch gehortet. Aber letztlich ist der tägliche Konsum in den Haushalten auf dem üblichen Niveau.
Auch haben die Deutschen nicht plötzlich aufgehört, sich mit Themen wie einem lange geplanten PKW-Kauf, einem Wechsel der Versicherung oder des Telekommunikationsanbieters nachzudenken. Darüber hinaus boomen auch einige Bereiche, wie zum Beispiel DIY– und das nicht nur, weil die Baumärkte in vielen Bundesländern immer noch geöffnet sind, sondern auch, weil in Krisenzeiten immer auch ein Bedürfnis nach Rückzug (Cocooning) entsteht, das lange darüber hinaus anhalten kann.
Effizienzvorteile und Wachstumschancen
Rational betrachtet, verschafft die derzeitige Situation denjenigen Unternehmen, die eine langfristige Strategie verfolgen, mehrere Vorteile: Bleiben die eigenen Werbeaktivitäten weitgehend auf bestehendem Niveau während Wettbewerber ihre Marketingaktivitäten zurückfahren, steigt zwangsläufig der Share of Advertising: Mit gleichbleibendem Investment wird mehr Wirkung als zu normalen Zeiten erzielt. Marktführer können ihre Position stärken, aber auch Angreifer neue Märkte oder Zielgruppen erobern.
Die Alternative, nämlich Cost-Cutting bei Produkt, Vertrieb und Werbung, hat nur bei kurzfristiger Betrachtung Vorteile – nach der Krise stehen solche Marken definitiv schlechter da als vor der Krise.
Die dramatischen Effekte von Werbepausen sind gut belegt
Unternehmen spielen auch in guten Zeiten immer wieder mit dem Gedanken, längere Werbepausen einzulegen oder den Wert von Investments in die Marke nur am kurzfristigen Abverkauf zu messen. Auf lange Sicht sind solche Strategien verheerend.
Halbiert man beispielsweise seine Werbeausgaben ein Jahr lang, benötigt man anschließend zwei Jahre, bis der durch Werbung generierte Abverkauf wieder auf dem früheren Niveau ist.* Kürzungen von Werbebudgets verlängern also die Rezession.
Eine Analyse von Millward Brown der Werbestrategien von 354 Marken** ergab, dass ein hohes Risiko für Marktanteilsverluste besteht, wenn als Resultat von Budgetkürzungen der Share of Voice längere Zeit unter dem Share of Market liegt. Dagegen gibt es aber einige Beispiele von Unternehmen, die in der Krise 2008/2009 ihre Budgets gezielt aufgestockt hatten, und damit erfolgreich dauerhaft ihre Marktanteile ausbauen konnten.
Brand Safety ist in Krisenzeiten vielschichtig
Dass Marken nachhaltig beschädigt werden können, wenn ihre Botschaften neben unpassendem Content erscheinen, ist keine Frage. Manche Unternehmen reduzieren aus genau diesem Grund auch derzeit ihre Werbe-Aktivitäten. Und es gibt sicherlich auch Argumente dafür, bestimmte Motive zurzeit nicht zu schalten. Man muss aber auch berücksichtigen, dass erfolgreiche Marken wie Freunde fürs Leben sind – und echte Freunde ziehen sich in Krisenzeiten gerade nicht zurück.
Die Corona-Krise bietet für Unternehmen zahlreiche Kommunikations-Anlässe. Ob man (wie etwa Vodafone) seine Angebote für Menschen verbessert, die sich unfreiwillig im Home-Office wiederfinden, ob man lokalen Initiativen der Nachbarschaftshilfe Unterstützung liefert – oder ob man sich als Handelsunternehmen einfach mal bei seinen Mitarbeitern dafür bedankt, dass sie mit Mundschutz und Einweghandschuhen hinter Plexiglas den „Laden am Laufen“ halten. Das trifft auf offene Ohren: Wenn von jedermann Solidarität eingefordert wird, wird auch sehr sensibel wahrgenommen, wie sich Unternehmen verhalten. Wer sich in der Krise positiv und sozial verhält, erfüllt das Ideal des „Corporate Citizen“ und gewinnt an Ansehen.
Gemeinsam durch die Krise
Sich bei den eigenen Mitarbeitern öffentlich zu bedanken, kommt übrigens nicht nur bei denen gut an: In einer aktuellen Studie der Ad Alliance zur Einstellung und Wirkung von TV-Spots mit Corona-Bezug*** finden es 93% der Befragten 16- bis 59-Jährigen gut, wenn sich Unternehmen bei ihren Mitarbeitern in Werbespots bedanken. Für 87% der Befragten ist Werbung mit Corona-Bezug ein Beleg dafür, dass sich „Unternehmen mit aktuellen Themen beschäftigen“.
Zwei Drittel der Befragten stehen Kampagnen mit Corona-Bezug „sehr positiv“ oder „positiv“ gegenüber, weitere 22% fühlen sich dadurch nicht gestört. Dazu passt, dass ein aktueller TV-Spot für ein Handelsunternehmen mit Corona-Bezug im Test überdurchschnittlich hohe Glaubwürdigkeits- und Sympathiewerte erzielte (86% bzw. 85% Top Box) und erfolgreich die Anschlusskommunikation triggerte (immerhin 44% der Befragten würden sich über den Spot unterhalten).
Wer also zeigt, dass er sich in der Krise mit der Gesellschaft beschäftigt, gewinnt. Die Gefahr, dass werbliche Präsenz in Krisenzeiten bei der Bevölkerung schlecht ankommt, ist dagegen eher gering. Dazu kommen die ökonometrischen Vorteile, wenn Unternehmen die richtigen Botschaften mit einem hohen Share of Voice kommunizieren können, weil Wettbewerber schweigen.
*Dyson, Paul (2006): Cutting adspend in a recession delays recovery. WARC Exclusive, 3/2008.
**Millward Brown (2011): Marketing in uncertain times. Millward Brown Knowledge Points, 9/2011.
***Quelle: Ad Alliance (2020): Befragung zu Werbespots mit Corona-Bezug. Basis: Erwachsene 16-59 Jahren: n = 511. Repräsentativ erhoben nach Alter und Geschlecht in den beiden Panels „I love MyMedia“ und „Love2Say“, Befragungszeitraum 24.-25.03.2020.