Interview zur 360-Grad Bewegtbild-Studie: "Mapping the Moods"

In der Studienreihe "Mapping the Moods" durchleuchtet Screenforce die Nutzungsbedingungen der TV-Rezeption. Im Interview erläutert Sandra Schümann, Senior Advertising Researcher bei RTL, das Konzept der Studie und ihre Herausforderungen.

Liebe Sandra, über die Ergebnisse von "Mapping the Moods" haben wir schon viel berichtet. Wir möchten mal die Gelegenheit nutzen, mit Dir als eine:r der verantwortlichen Forscher:innen ein bisschen "unter die Motorhaube" zu schauen. Was war die ursprüngliche Idee hinter der Studie – und wo steht ihr jetzt?
 

Unser Ausgangspunkt war die Frage nach den Rahmenbedingungen der Rezeption von Bewegtbildcontent und deren Einfluss auf die Wirkung von Werbung. Welche vielfältigen Funktionen erfüllt Fernsehen heute? Wie wichtig sind dabei die Tageszeit, die Nutzungskonstellation vor dem Bildschirm, die persönliche Stimmung – und das Ganze natürlich auch im Zusammenspiel mit dem Content selbst? Ob man gerade von der Arbeit nach Hause gekommen ist oder den ganzen Tag entspannt verbracht hat. Und, nicht zuletzt: Ob man wirklich voll und ganz "dabei" ist, oder man parallel mit anderen Tätigkeiten beschäftigt ist.
 

"Mapping the Moods" ist eine aufwändige Grundlagenstudie. Was war der Impuls hierfür?
 

Den ersten Impuls hierzu gab 2020 Karen Nelson-Field mit der experimentellen Studie "Not all Reach is Equal“. Sie verglich die Wirkungen identischer Spots in TV-Content und bei YouTube, Facebook und Instagram. Das Ergebnis war, dass die Spots im TV einen deutlich stärkeren Impact entwickelten als auf den anderen Plattformen. Im Folgejahr beleuchtete Eye Square mit "Track the Success" eine ähnliche Fragestellung und konnte u.a. entschlüsseln, welche Rolle Aufmerksamkeit und Emotionen für die Verarbeitung von Werbebotschaften spielen.

Mit der neuen Mehrmethodenstudie "Mapping the Moods", bestehend aus drei Modulen, nämlich einer Tagebuchstudie, einer quantitativen Online-Erhebung und einer morphologischen Studie (basierend auf Beobachtungen im Alltagsstudio), wollen wir nun die unterschiedlichen Settings der TV-Nutzung aufzeigen und damit zu einem besseren Verständnis für die Vielfalt der Rahmenbedingungen für Werbung beitragen.
 

Ihr habt zehn typische Szenarien der Bewegtbild-Nutzung identifiziert.
 

Wir sind völlig ergebnisoffen an das Thema herangegangen und haben die Proband:innen gebeten, in der Tagebuchstudie verschiedene Nutzungssituationen zu beschreiben. Die Herausforderung war anschließend, die Vielfalt der Antworten zu systematisieren: Alle Proband:innen hatten unterschiedliche Wordings, jede:r beschrieb den Medienkonsum anders. Trotzdem ließen sich recht schnell zehn verschiedene typische Kombinationen aus dem Zusammenspiel von Content, Stimmung, Nutzungssetting, Plattform und Tageszeit erkennen. Diese Kombinationen nannten wir "Moods". Diese zehn Moods wurden in den folgenden Modulen immer wieder bestätigt. Auch in den psychologischen Tiefeninterviews konnten wir sie identifizieren – und dort noch tiefer aufschlüsseln.
 

Welche Unterschiede zwischen den Bewegtbildplattformen habt ihr gefunden?
 

Die Gesamtheit aller zehn Moods finden wir nur im linearen Fernsehen. Das liegt letztlich daran, dass Fernsehen extrem vielfältig ist – von Hardcore Fiction bis hin zu Shows oder Nachrichten. Und es bietet Content für alle Verfassungen an, von Lean Back bis hin zu Lean Forward.

Wenn ich als Zuschauer:in überhaupt nicht weiß, was ich gerne sehen will, lasse ich mir einfach etwas präsentieren und zu einem passenden Inhalt treiben. Gleichzeitig kann TV mit seinen festen Sendeterminen aber auch Struktur schaffen und sich in meine ganz individuelle Alltagsgestaltung einschmiegen. Darum ist es auch ein Unterschied, ob ich mich auf mein Lieblingsformat freue, das jeden Dienstag um 20.15 kommt, oder ob ich es on Demand abrufen kann, wann immer ich es möchte. Und natürlich ist es noch einmal ganz etwas anderes, gezielt eine Serie aus dem Angebot einer Streamingplattform herauszusuchen. Nicht jede:r möchte immer Programmdirektor spielen. Insbesondere dann, wenn man einen gemeinsamen Fernsehabend in der Familie verbringen will, kann es erfahrungsgemäß auch länger dauern, bis sich etwas Passendes findet.
 

Im dritten Modul habt ihr die Werbung ins Spotlight gesetzt
 

Aus den ersten beiden Studien wussten wir, dass die Nutzungsszenarien für Fernsehen sehr, sehr vielfältig sind. Da lag die Frage nahe, welchen Einfluss diese Kontexte auf die Wahrnehmung von Werbung haben – und welche Learnings sich dadurch für werbungtreibende Unternehmen ergeben.

Generell wollen wir mit unserer Forschung ja immer für die Kunden Hilfestellung bieten, damit sie wirklich das Maximum an Werbewirkung aus ihren Kampagnen herausholen können. "Mapping the Moods" zeigt, dass man dazu das Wissen über die Umfeldqualitäten mit den Nutzungssituationen verknüpfen muss. Das ist gar nicht so einfach: Natürlich ist nicht jeder Content für jede Nutzungssituation und Verfassung geeignet. Daneben gibt es auch TV-Inhalte, durch deren Konsum die Rezipient:innen überhaupt erst in eine bestimmte Verfassung kommen.
 

Welche neuen Insights konntet ihr im Alltagsstudio gewinnen?
 

Es war besonders spannend zu sehen, welche unterschiedlichen Funktionen Werbung hat: Dass der Werbeblock z.B. bei Quiz-Formaten auch eine Form von Entlastung darstellt, wenn man als Zuschauer:in zuvor sehr mitgefiebert hat. Einfach mal runterkommen, durchatmen – und dann geht es gleich weiter.
 

Die Werbung als erwünschtes Kontrastprogramm?
 

Das hängt vom Umfeld ab. Nehmen wir etwa Formate wie den BACHELOR: Da können Werbespots punkten, die diese Traumwelt aus dem Content ein bisschen aufgreifen. Es wird ja oft der Eindruck vermittelt, dass die Zuschauer:innen die Werbeblöcke einfach nur hinter sich bringen wollen. Die Beobachtungen im Alltagsstudio zeigen aber ganz klar, dass Werbung durchaus auch erwünscht ist – und zwar speziell dann, wenn sie ins Zusammenspiel von Content und Rezeptionssituation passt. Und wenn diese Passung vorhanden ist, wird der Spot auch besser wahrgenommen.
 

Wie lassen sich eure bisherigen Erkenntnisse in Empfehlungen für die Werbung übersetzen?
 

Die Reaktionen aus dem Markt zeigen uns, dass wir mit den ersten drei Teilen von "Mapping the Moods" unser Etappenziel erreicht haben, nämlich ein besseres, tieferes Verständnis für die große Vielfalt an TV-Nutzungssituationen zu schaffen. Natürlich bleiben wir nicht stehen und bereiten gerade die nächsten Studienteile vor, mit denen wir dann nächstes Jahr ins Feld gehen. Unter dem Titel „Mapping the Impact“ möchten wir uns dann gemeinsam mit Eye Square im Schwerpunkt mit der kreativen Gestaltung der Werbemittel befassen und mehr darüber lernen, wie unterschiedliche Spots in unterschiedlichen Nutzungsclustern erlebt werden. Damit möchten wir unseren Kunden mehr Orientierung darüber verschaffen, welche Rolle verschiedene kreative Elemente der Spotgestaltung, wie z.B. Musik oder Storytelling spielen und wie diese in unterschiedlichen Nutzungskontexten ihr Potenzial entfalten.

Fakt ist: Es ist auf jeden Fall von Vorteil, wenn man weiß, in welch vielfältigen Settings die Fernsehnutzung heutzutage stattfindet und wie sich Marken und Produkte mit ihrem Spot dann optimal in ein solches Nutzungscluster einfügen können – für ein Maximum an Werbewirkung.