Vom Planeten mit gebrochenem Herzen

Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigte auch unsere Expert:innen bei den Kinderwelten 2022. Brigitte Bayer, Vice President like to KNOW, analysierte, welche Rolle Nachhaltigkeit beim Kauf von Spielwaren hat. Denn Kinder wachsen heute in einer Welt auf, die von Klimawandel und globalen Katastrophen geprägt ist. Lesen Sie den Artikel, schauen Sie sich den Vortrag als Video an und klicken Sie in die pdf.

Die Forscher:innen des in 2021 neu gegründeten Marktforschungsinstituts like to KNOW haben für die Kinderwelten Fachtagung 2022 eine Studie zum Thema "Kids und Nachhaltigkeit" durchgeführt. Dazu wurden 32 Kinder und 16 Elternteile remote und vor Ort in den kindgerechten Teststudios interviewt. Im Nachgang erfolgte eine Quantifizierung bei 260 Kindern und deren Eltern im like to KNOW Kids@Panel.

Die Studie zeigt: Das Thema Nachhaltigkeit ist bei den Kindern präsent und mit Ohnmachtserfahrungen verbunden. Das Wort "Nachhaltigkeit" kennen nur die älteren Kinder ab ca. 11-12 Jahren. Sie verstehen darunter "irgendwas mit Umweltschutz". Bei jüngeren Kindern ist der Begriff "Umweltschutz" gängiger, auch sie können die Zusammenhänge sehr gut beschreiben. Dabei sind besonders die Folgen der Umweltverschmutzung für Kinder sehr präsent und von Ängsten begleitet. Die von den Kindern angefertigten Collagen über einen "unguten Planeten" zeigen, wie belastend das Thema für die Kinder ist und wie groß das Bedürfnis ist, Entlastung zu erfahren: So wird die heutige Erde als "Planet mit gebrochenem Herzen" dargestellt.
 

"Ich weiß, dass Wissenschaftler nach einem neuen Planeten suchen, weil die Erde untergehen wird." (Eva, 7 Jahre)


Ein gesunder Planet Erde wäre dagegen nach den Vorstellungen der Kinder bunt und fröhlich. Die Menschen würden dort glücklich und zufrieden leben. Es gäbe nur gesundes Essen und nur wenig oder gar keine Technologie. Die Kinder würden draußen spielen und sich um Tiere und Pflanzen kümmern. Diesen Planeten wünscht man sich, die "Schattenseite" ist den Kindern aber durchaus bewusst: Restriktionen, Aufgaben und Regeln und auch Verzicht.

Kinder benötigen keine weitere Einführung in das Thema Nachhaltigkeit

Kinder wissen schon viel zum Thema Nachhaltigkeit. 38 Prozent der Eltern geben zu, dass ihr Kind besser informiert ist als sie selbst. Die Schule (Theorie) ist mit den Eltern (Praxis) der größte Informationslieferant zum Thema.
 


"Wir haben das in der Schule besprochen, aber das ist halt anstrengend, denn da muss man Texte lesen und Fragen beantworten." (Valerie, 7 Jahre)

Die kleine und die große Nachhaltigkeit

Im Leben der Kinder gibt es zwei Arten von Nachhaltigkeit: Die "große" Nachhaltigkeit beinhaltet die großen Themen, die die Wirtschaft und die Politik betreffen. Hier fühlt man sich oft ohnmächtig und alleine gelassen. Die Verantwortung sieht man klar bei Politik und den Unternehmen.
 


"Wie soll man das denn alleine schaffen? Da muss die Politik mithelfen." (Lina, 10 J.)


Daneben existiert noch eine "kleine Nachhaltigkeit". Hier hat man die Zügel selbst in der Hand und kann Dinge beeinflussen. Kinder sind damit aufgewachsen und so zu leben, etwa den Müll zu trennen und beim Einkaufen Stoffbeutel zu nutzen, gehört für sie selbstverständlich zum Alltag. Nachhaltigkeit kann ihnen sogar Spaß machen – zum Beispiel, wenn sie mit Erlebnissen wie einem Müllsammeltag oder DIY-Aktionen (z.B. Basteln mit Verpackungsmaterial) gekoppelt ist.

Kinder flüchten in die künstliche Spiele- und Phantasiewelt

Kinder flüchten gerne in ein Spielzeug-Schlaraffenland, in dem man nicht ohnmächtig ausgeliefert ist, sondern das Leben selbst gestalten kann. Das Böse kann dort jederzeit eliminiert werden. Gleichzeitig ist es eine saubere (sterile) Welt, in der man Kind sein kann ohne Verzicht, Anstrengung oder Enttäuschung.

Kunststoff ist das perfekte Material, um in diese kindliche Phantasie-Welt-Spiele-Bubble einzutauchen: glatt, glossy, bunt. Diese starken, sinnlichen Reize erzeugen positive Stimmungen und ermöglichen, sich schnell in eine Welt zu versetzen, in der alles möglich ist.

Nachhaltigkeit passt nur bedingt zur unbeschwerten Spielwelt

Die Spielwelt hat nichts mit der realen Welt zu tun und das Thema Nachhaltigkeit stört den Transfer in die Spielewelt-Blase. Wie die Interviews bestätigen, macht das Thema Nachhaltigkeit Kindern nicht immer Spaß, denn man muss ja auch verzichten. Auch ist Nachhaltigkeit aus Sicht der Kinder mit Schule und Pflichten verbunden.
 


„Wir haben das in der Schule besprochen, aber das ist halt anstrengend, denn da muss man Texte lesen und Fragen beantworten.“ (Valerie, 7 J.)


Nachhaltige Materialien, wie Holz oder Pappe, werden von den Kindern als Spaßbremse erlebt und man findet Rationalisierungsargumente für die fehlende Nachhaltigkeitspräferenz.
 


„Man kann sich da schnell einen Splitter holen. Drum mag ich Holz nicht so gerne.“ (Kai, 9 J.)

 


„Wenn man Lego aus Holz macht, dann müssen da auch Bäume für gefällt werden.“ (Paul, 6 J.)

Für Eltern zählen leuchtende Kinderaugen mehr Nachhaltigkeit

Bis zum Kindergartenalter spielen nachhaltige Aspekte aus gesundheitlichen Motiven (etwa die Bedenken vor "Schadstoffen") eine größere Rolle. Sobald die Kinder in die Schule kommen, verringert sich durch den Leistungsdruck dort der pädagogische und auch nachhaltige Anspruch an das Spielen zuhause zurück, da Eltern die Kinder entlasten wollen. Selbst sehr nachhaltig fokussierte Eltern geben zu, dass sie Plastikspielwaren kaufen, um ihren Kindern eine Freude zu machen.

Nachhaltiges Handeln ist zwar erwünscht, muss aber auf anderem Wege passieren, als auf Kunststoff bei den Spielwaren ganz zu verzichten. Als tragfähiger Kompromiss wird hier die Verwendung von Materialien mit "natürlichen" Bestandteilen oder Recyclaten gesehen. Auch eine höhere Lebensdauer durch die Verwendung hochwertiger Kunststoffe wird als Argument akzeptiert. So stimmt die Mehrheit der Eltern (54%) der Aussage zu, dass es auch mal Plastik sein darf, wenn Spielwaren länger halten.
 


„Wir leben wirklich nachhaltig. Aber Kinder stehen eben auf Plastik, weil das mehr die Sinne anregt. Was hilft mir dann Holzspielzeug, wenn es dann nur in der Ecke liegt.“ (Mutter)


Nur 45 Prozent der Eltern würden für plastikfreie Spielwaren mehr bezahlen. Zum Vergleich: Fast zwei Drittel der Befragten (64%) wären bereit, mehr auszugeben, wenn bei der Herstellung der Spielwaren faire Arbeitsbedingungen garantiert würden.

Nachhaltigkeit ja – aber mit Spaß und Lustgewinn!

Verhalten ist häufig widersprüchlich, das gilt für Erwachsene wie Kinder. Menschen sind emotionale Wesen und handeln nicht immer vernünftig. Nachhaltigkeit ist ein eher rationaler Treiber und kann nur schwer mit emotionalen Motiven wie Spaß, Lebensfreude oder Genuss konkurrieren, die sofort umsetzbar sind und stärker motivieren als langfristig angelegte Veränderungen.

Im Fokus von Werbung, die sich an Kinder wendet, sollte daher der Spaß und das Spielgeschehen stehen sowie kindliche Phantasiewelten, die durchaus bunt, steril und künstlich sein dürfen. Nachhaltigkeit spielt zur Postrationalisierung der emotional getroffenen Kaufentscheidung eine Rolle. Allerdings darf die Tonalität nicht belehrend sein, damit Nachhaltigkeit als Benefit und nicht als Einschränkung verstanden wird. Umwelt-Siegel können die Eltern entlasten und den Kindern Überzeugungsargumente liefern.

Es lohnt sich auf jeden Fall, die Verpackung in den Fokus zu nehmen: Reduktion, Recyclebarkeit oder Upcycling (z.B. in Form von Bastelideen zur Weiterverwendung der Verpackung) können z.B. in der TV-Werbung am Spotende ausgelobt werden. Eltern wünschen sich von Unternehmen inspirierende Ideen.

Entlastung können auch regionale Aspekte ("Made in Germany") oder Rücknahme-, Reparatur-, Garantieleistungen darstellen. Und selbstverständlich wird von den Eltern auch weitergehendes Engagement der Hersteller in Nachhaltigkeitsthemen durchaus positiv registriert.

Fazit: Im Vordergrund der Kommunikation für Kinderprodukte sollte immer zunächst der Spielspaß stehen. Nachhaltige Aspekte des Produkts oder der Marke sind aber zur Postrationalisierung durchaus erwünscht. Auf Belehrungen sollte dabei unbedingt verzichtet werden, denn in Sachen "Nachhaltigkeit" sind Kinder oftmals größere Experten als die Erwachsenen.

Brigitte Bayer, Vice President like to KNOW